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Einleitung: Definition von Konsensuskonferenzen

Eine Konsenskonferenz ist ein strukturierter und partizipativer Prozess, bei dem eine Gruppe von Experten und Interessenvertretern zusammenkommt, um über ein bestimmtes Thema zu beraten und einen Konsens zu den wichtigsten Fragen und/oder Empfehlungen zu erzielen. Im Gegensatz zu traditionellen Entscheidungsfindungsmodellen, die auf hierarchischen oder autoritären Ansätzen beruhen, legen Konsenskonferenzen den Schwerpunkt auf Einbindung, Transparenz und gemeinschaftliche Entscheidungsfindung.

In der heutigen, sich rasch weiterentwickelnden VUCA-Welt (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität) wird für Entscheidungsfindungsprozesse oft das Input verschiedener Interessengruppen benötigt. Konsenskonferenzen haben sich für ein breites Themenspektrum, vom Gesundheitswesen über wissenschaftliche und technologische Fortschritte bis hin zu sozialen und ethischen Problemen, als wertvolle Plattformen zur Förderung der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung erwiesen. Konsenskonferenzen spielen im Gesundheitssektor eine sehr wichtige Rolle, indem sie medizinischen Fachkräften, beispielsweise in der Implantologie, ein Forum zur gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung bieten. In diesem Artikel untersuchen wir die Bedeutung von Konsenskonferenzen in der Implantologie, vor allem im Hinblick auf ihre Beiträge zur Verbesserung der Patientenversorgung, Förderung von Forschung und Fortschritt in der Medizin, Unterstützung evidenzbasierter Methoden sowie Bereicherung der beruflichen Entwicklung. Durch die Einbindung von Interessengruppen in die qualifizierten Diskussionen und konsensbildenden Prozesse befähigen die Konferenzen die Teilnehmer dazu, die mit der Implantologie assoziierte Gesundheitspolitik und -versorgung zu beeinflussen und eine effizientere, patientenzentrierte und progressive Versorgung mit Implantaten zur fördern. In diesem Artikel soll das Konzept der ITI-Konsensuskonferenzen erklärt und ihre Zielsetzung, ihre Methodik, ihr Nutzen und ihre potenziellen Einschränkungen sollen untersucht werden.

Das ITI blickt bei der Organisation von Konsenskonferenzen auf eine solide Geschichte zurück; die erste Konferenz fand 1994 statt. Obwohl die erste Konferenz keine offizielle Veröffentlichung hervorbrachte, führten ihre wertvollen Ergebnisse zu der Entscheidung, alle fünf Jahre eine ITI-Konsensuskonferenz zu veranstalten. Die Ergebnisse der nachfolgenden Konferenzen wurden in führenden wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht (Tab. 1).

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Tabelle 1: Übersicht der ITI-Konsensuskonferenzen von 1994 bis 2023

Wie bereits erwähnt, basiert eine Konsenskonferenz auf einem Entscheidungsfindungsmodell, das Einbindung, Transparenz und gemeinschaftliche Entscheidungsfindung in den Vordergrund stellt. Die ersten Konsenskonferenzen waren anders strukturiert als die heutigen. Früher galt die Meinung einer in der Fachwelt bekannten Person zu einem Thema oft als führend oder hatte erhebliches Gewicht und wurden die Konferenzen oft durch Dezibel bestimmt. (Diejenigen, die am lautesten sprachen, waren oft auch diejenigen, denen zugehört wurde.)

Inzwischen haben wir in Regeln und Protokollen festgelegt, wie eine Konsensuskonferenz abgehalten werden soll. Wir halten uns an strikte Vorgehensweisen, und die zur Diskussion stehenden Themen werden anhand systematischer Reviews der verfügbaren Literatur von Fachleuten vorbereitet.

Systematische Reviews bilden die Grundlage der Konsensuskonferenzen, wie sie heute durchgeführt werden. Bei einem systematischen Review wird für eine wissenschaftliche Fragestellung eine Zusammenfassung der dafür relevanten aktuellen Literatur erstellt. Die Autoren suchen mit reproduzierbaren Verfahren auf präzise und transparente Weise nach der relevanten verfügbaren Forschung (Evidenz), selektieren diese und führen sie zusammen. Dabei analysieren sie den Bias der gefundenen Evidenz und benennen ihn. Zu einem systematischen Review gehören in der Regel das Aufstellen eindeutiger wissenschaftlicher Fragestellungen, die Identifikation relevanter Veröffentlichungen durch eine extensive Suche, die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität bei jedem Schritt sowie die Zusammenfassung der Evidenz mithilfe statistischer Verfahren, um die Ergebnisse interpretieren zu können.

Oft werden folgende Arbeitsschritte durchgeführt:

  1. Formulieren der wissenschaftlichen Fragestellung: klare, eindeutige und strukturierte Fragen. Einmal festgelegt, können sie im weiteren Verlauf nicht verändert werden.
  2. Festlegen von Ein- und Ausschlusskriterien
  3. Auffinden relevanter Veröffentlichungen: extensive Suche in mehreren Quellen (elektronisch und händisch) sowie, falls möglich, vorzugsweise ohne sprachliche Einschränkungen. Die Gründe für den Ein- und Ausschluss müssen dokumentiert werden.
  4. Auswahl von Studien anhand der Ein- und Ausschlusskriterien und Bewertung der Forschungsqualität. Dies ist bei jedem Arbeitsschritt wichtig. Aus der Fragestellung und den Auswahlkriterien müssen sich die akzeptablen Mindestanforderungen an Struktur und Design ergeben. Die ausgewählten Studien werden anhand designbasierter Qualitätschecklisten einer noch gewissenhafteren Prüfung unterzogen. Die Informationen wiederum werden dazu verwendet, um die Themen auszuwählen, die in die Metaanalyse eingeschlossen werden können. Die Aussagekraft dieser Informationen ist auch für die Festlegung künftiger Forschungsarbeiten von Bedeutung.
  5. Datenextraktion aus den aufgenommenen Studien. Für diesen Zweck wurde spezielle Software entwickelt, wobei auch eine Excel-Datei verwendet werden kann.
  6. Zusammenfassung der Evidenz und Qualitätsermittlung: Struktur, Qualität und Ergebnisse werden bei der Untersuchung der Unterschiede der ausgewählten Studien mit statistischen Methoden analysiert.
  7. Interpretation der Ergebnisse: Wurden alle Aspekte der ersten vier Schritte erfüllt? Welche Risiken für einen Bias wurden bei der Interpretation der Ergebnisse entdeckt? Wurde die Qualität der berücksichtigten Veröffentlichungen jeweils eingestuft? Wurden die Stärken und Schwächen der Veröffentlichungen analysiert und wurde deren Interpretation bei der Aufstellung der Empfehlungen ausreichend berücksichtigt? 

Anschließend werden die systematischen Reviews auf der Konsensuskonferenz als Grundlage der anstehenden Beratungen und Diskussionen vorgestellt.

Für die alle fünf Jahre stattfindenden ITI-Konsensuskonferenzen wurde das folgende Protokoll entwickelt und befolgt.

In einem ersten Schritt bildet das ITI einen Lenkungsausschuss. Er trägt die Verantwortung für die Organisation und Durchführung der ITI-Konsensuskonferenz und des Consensus Conference Standardization Meeting sowie für das wissenschaftliche Programm der ITI-Jahresversammlung, die sich in der Regel an die ITI-Konsensuskonferenz anschließt. Er ist das Entscheidungsgremium für alle Fragen im Zusammenhang mit diesen Treffen. Der Lenkungsausschuss berät die Steuerungsgruppe, welche die Gruppenleiter bei ihrer Tätigkeit und bei auftretenden Fragen direkt unterstützt. Er wählt Themen für die Konsensuskonferenz aus und stellt sicher, dass relevante und dringliche Fragestellungen gewählt werden. Diese basieren oft auf Themen, die in Umfragen von ITI-Mitgliedern und Fellows für relevant gehalten wurden und eine gemeinschaftliche Entscheidungsfindung erfordern.

Der Lenkungsausschuss ernennt die Steuerungsgruppe. Diese ist die erste Anlaufstelle für die Gruppenleiter. Sie überwacht den Fortschritt der Arbeitsgruppe, bietet Unterstützung an, um sicherzustellen, dass die Gruppen auf dem richtigen Weg bleiben (zeitlich und wissenschaftlich), und berichtet direkt an den Lenkungsausschuss. Die auf der Konsensuskonferenz zu diskutierenden Themen werden dem Lenkungsausschuss vorgestellt, der sie billigt oder ändert.

Die Gruppenleiter werden vom Lenkungsausschuss und der Steuerungsgruppe ausgewählt. Sie sind verantwortlich für den Review der Beiträge ihrer Arbeitsgruppe. Die Gruppenleiter sind die erste Anlaufstelle der Erstautoren und unterstützen diese bei ihren Aktivitäten sowie allen eventuell auftretenden Fragen. Die Gruppenleiter stehen in ständigem Kontakt mit den Autoren und sorgen dafür, dass alle Aufgaben zeitgerecht erledigt und die Termine eingehalten werden. Die Gruppenleiter wählen die Erstautoren für die Review-Artikel ihrer Gruppe in enger Zusammenarbeit mit der Steuerungsgruppe aus, moderieren die Sitzungen ihrer Arbeitsgruppe auf der ITI-Konsensuskonferenz und sind am Ende der ITI-Konsensuskonferenz für die Vorstellung der Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe (Manuskripte) verantwortlich.

Haupt-(Erst-)Autoren: Die Erstautoren sind für das Verfassen der systematischen Review-Artikel der ITI-Konsensuskonferenz verantwortlich. Sie formulieren die gezielten Fragen, legen die Strategie für die systematische Suche für ihren jeweiligen Review-Artikel fest und führen die Literatursuche durch. Sie registrieren die Protokolle der systematischen Reviews beim National Institute for Health Research und reichen sie bei der Zeitschrift ein, in der die Ergebnisse der ITI-Konsensuskonferenz veröffentlicht werden. Dabei arbeiten sie eng mit den Co-Autoren zusammen. Der Erstautor ist die erste Anlaufstelle für die Co-Autoren. Die Erstautoren stellen die Ergebnisse ihres Review-Artikels auf der ITI-Konsensuskonferenz und der ITI-Jahresversammlung, die sich in der Regel an die ITI-Konsensuskonferenz anschließt, vor.

Die Erstautoren der Review-Artikel der Konsensuskonferenz können entscheiden, wie viele Co-Autoren sie an ihrem Artikel beteiligen – das steht ihnen frei. Aus organisatorischen Gründen begrenzen wir jedoch die Anzahl der Co-Autoren, die zur Konsensuskonferenz eingeladen werden.

Vorbereitungsphase

Die nächste Phase kann als Vorbereitungsphase bezeichnet werden. Vor der Konferenz erhalten die Teilnehmer die Literatur-Reviews (vorzugsweise einen systematischen Review, möglichst mit einer Metaanalyse) zu den gewählten Themen. Dadurch wird sichergestellt, dass alle Teilnehmer Zugang zu denselben Informationen haben und auf eine fundierte Diskussion vorbereitet sind. Außerdem können sie so zu Themen der Reviews recherchieren, über die sie möglicherweise noch nicht ausreichend informiert sind.