Ryan Lee (RL): Nachdem ich das Studium der Zahnmedizin an der Universität Sydney, Australien (BMSc & BDent), beendet hatte, machte ich am Eastman Dental Institute, UCL, London, den Facharzt in Parodontologie (MCD). Anschließend kehrte ich nach Australien zurück und begann meine akademische Karriere unter anderem als Teilzeitdoktorand (PhD). Im Jahr 2017 übernahm ich eine leitende wissenschaftliche Position an der Klinik für Zahnheilkunde der Universität Queensland. Derzeit bin ich Direktor des parodontologischen Fortbildungsprogramms und Fachbereichsleiter für Parodontologie.
RL: Ich entdeckte meine Leidenschaft für die Forschung auf den Gebieten der Parodontologie und Implantologie bei meinem Besuch des ITI World Symposiums in New York im Jahr 2007. Durch die Vorträge all der genialen Experten der Parodontologie und Implantologie war ich so inspiriert, dass ich mich für eine Karriere auf diesem Gebiet entschied. Die Forschung nahm einen großen Teil meiner Facharztausbildung ein und ich war vom evidenzbasierten Ansatz und den verschiedenen wissenschaftlichen Methoden zur Validierung neuer Ergebnisse fasziniert. Vor allem interessierte mich die Immunreaktion des Wirtes auf verschiedene Implantatoberflächen mit daraus resultierender, unterschiedlich schneller Osseointegration.
RL: Mein Forschungsthema waren die Effekte verschiedener Implantatoberflächen auf die Immunzellen, insbesondere auf Makrophagen, bei Diabetes mellitus. Wir verwendeten SLA- und SLActive-Oberflächen. Es ist gut dokumentiert, dass SLActive-Oberflächen im Frühstadium der Knochenheilung die Osseointegration beschleunigen, wobei die zugrundeliegenden Mechanismen bislang noch nicht vollständig bekannt sind. Ich war von diesem speziellen biologischen Phänomen fasziniert und begann, die Interaktionen zwischen den an der Wundheilung beteiligten Zellen und den verschiedenen Biomaterialien wissenschaftlich zu untersuchen.
Makrophagen sind wirklich vielseitige Immunzellen, die mithilfe der Phänotypexpression Entzündungsreaktionen orchestrieren können: Der Phänotyp M1 ist proinflammatorisch, der Phänotyp M2 antiinflammatorisch. Dies ist natürlich stark vereinfacht formuliert, aber ihre Rolle bei der Wundheilung ist von entscheidender Bedeutung. Die immunmodulatorischen Effekte der Makrophagen und der verschiedenen Implantatoberflächen sind noch schlecht verstanden. Dies gilt insbesondere bei systemischen Beeinträchtigungen wie Diabetes mellitus. Daher haben wir in der Studie die Interaktionen zwischen den Phänotypen der Makrophagen (M1 und M2) und verschiedenen Oberflächen von Titanimplantaten (SLA und SLActive) bei Diabetes mellitus Typ 2 untersucht.
RL: Mit der Studie haben wir erstmals empirische Evidenz dafür geliefert, dass im Tiermodell des Diabetes mellitus Typ 2 die Funktion der M2-Makrophagen bei der Wundheilung gestört ist. Wir konnten zeigen, dass die modifizierte Oberfläche (SLActive) diese gestörte Makrophagenfunktion ausgleichen kann. Die von ihr geschaffene Umgebung schwächt die Entzündungsreaktion im Frühstadium der ossären Wundheilung ab, stellt die Homöostase der Makrophagen wieder her und fördert die Knochenheilung.
RL: Aus meiner Sicht liefert die Studie Einblicke in die Interaktionen zwischen Biomaterialien, vor allem der Oberflächenbehandlung von Implantaten, und immunentzündlichen Reaktionen bei einer systemischen Erkrankung. Da es sich um eine präklinische Studie handelt, sind zur Bestätigung unserer Ergebnisse weitere klinische Studien erforderlich. Wir konnten aber die Bedeutung der Kontrolle von Entzündungsreaktionen in der Frühphase der Wundheilung, einschließlich der Osseointegration, belegen. Außerdem haben wir gezeigt, dass die von uns täglich verwendeten Biomaterialien (SLActive) die Immunreaktionen modulieren können. Dies sollte bei der Wahl der Biomaterialien bedacht werden.
RL: Das ITI trägt seit mehreren Jahrzehnten entscheidend zur Entwicklung der Implantologie bei. Ich bin davon überzeugt, dass der Erfolg des ITI auf seiner Unabhängigkeit und dem streng wissenschaftlichen Vorgehen bei der Weiterentwicklung der Implantologie beruht. Die akademische und finanzielle Unterstützung von derartigen Organisationen ermöglicht es vielen Wissenschaftlern/Ärzten, ihre Forschung fortzuführen, und liefert eine Plattform zur Veröffentlichung der Ergebnisse, um letztlich die künftige Richtung der Implantologie zu bestimmen.
RL: In der aktuellen medizinischen Forschung ist zunehmend ein Trend hin zur personalisierten Medizin zu beobachten. Meiner Ansicht nach wird sich auch der Fokus der zahnmedizinischen Forschung künftig in diese Richtung bewegen – tatsächlich hat das schon begonnen. Die Wundheilung ist ein essenzieller Aspekt der personalisierten Medizin/Zahnmedizin, und die Modulation des Wirts durch Biomaterialien ist für uns ein Forschungsschwerpunkt zur weiteren Verbesserung der klinischen Ergebnisse. Künftig sollte sich die Forschung in der Implantologie auf diese immunmodulatorischen Effekte von Biomaterialien konzentrieren.
In diesem Sinne untersuchen wir in einem unserer Projekte im Diabetesmodell den Effekt von Schmelzmatrixprotein auf die verschiedenen Subtypen von M2-Makrophagen (z. B. M2a, M2b, M2c und M2d), um das Wissen in unser aktuelles Verständnis der Wundheilung zu integrieren, was wiederum in die klinischen Managementstrategien schwieriger Fälle einfließen wird.
Die André-Schroeder-Forschungspreise für präklinische und klinische Forschung werden jährlich verliehen und sind jeweils mit 10.000 Schweizer Franken dotiert. Mit dem Preis werden unabhängige Wissenschaftler ausgezeichnet, welche die dentale Forschung und Entwicklung voranbringen. Ziel ist es, neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf den Gebieten der Implantologie und oralen Geweberegeneration sowie in verwandten Gebieten zu fördern. Der Preis wird zu Ehren des verstorbenen Professors André Schroeder (1918–2004), dem Gründungspräsidenten des ITI, verliehen, der ein Vorreiter auf dem Gebiet der Implantologie war und dessen Lebenswerk entscheidend zur modernen Zahnheilkunde beigetragen hat.