In der Rubrik „Fragen Sie die Experten“ bittet der Redaktionsbeirat eine Gruppe von Experten, in weniger als 250 Wörtern zu einer inhaltlich besonders interessanten Frage Stellung zu nehmen. In dieser Ausgabe haben wir Anthony Dickinson, Shakeel Shahdad, Charlotte Stilwell und Daniel Thoma gefragt, welches Okklusionskonzept ihrer fachlichen Meinung nach für implantatgetragene Restaurationen gewählt werden sollte.
Die Informationen zu den Okklusionskonzepten bei implantatgetragener Prothetik leiten sich überwiegend von den Okklusalkonzepten von zahn-, also nicht implantatgetragener Prothetik ab. In der Literatur gibt es nur unzureichende Evidenz zur Etablierung verbindlicher klinischer Leitlinien für die bei implantatgetragener Prothetik bevorzugten Okklusalkonzepte. Erschwerend kommt hinzu, dass Uneinigkeit darüber besteht, was „natürlicherweise“ im menschlichen Gebiss geschieht. Es gibt eine gewisse Evidenz aus einem systematischen Review, wonach die Prävalenz der seitenzahngeführten Okklusion mit zunehmendem Alter (in der natürlichen Bezahnung) abnimmt, während die Prävalenz der Gruppenfunktion steigt.
Die veröffentlichten Reviews haben klinische Leitlinien als Axiome, Paradigmen, Konzepte und korrekte Praxis inkorporiert, die zwar sehr praktisch, vielfach aber aufgrund fehlender Evidenz nicht evidenzbasiert sind.
Bei der Restauration natürlicher Zähne werden inzwischen die gegenseitige Schutzfunktion und die anteriore Disklusion als akzeptable therapeutische Okklusionskonzepte anerkannt. Ziel ist es, die Funktion wiederherzustellen und zu erhalten und die Zeitspanne für die Anpassung der Patienten zu minimieren. Je stärker die Okklusion therapeutisch verändert wird, umso länger dauert es im Allgemeinen, bis sich der Patient daran gewöhnt hat. Alle therapeutischen Veränderungen sollten biologisch und mechanisch langzeitstabil sein.
Dieselben Konzepte wurden überwiegend aus Mangel an Alternativen auf implantatgetragene Restaurationen übertragen.
Somit fußt meine „Expertenmeinung“ auf Annahmen und schlecht etablierten Daten, also auf dem niedrigsten Evidenzniveau. Nachfolgend stehen die Richtlinien, die ich klinisch bei verschiedenen häufigen Therapieverfahren befolge.
Implantatgetragene Einzelkrone (I-SC) (mit natürlichen Zähnen auf beiden Seiten)
- Festlegen eines Referenzpunkts auf den natürlichen Zähnen, die sich beidseits der implantatgetragenen Einzelkrone befinden, mit einer 8-µm dicker Shimstock-Folie
- Testung bei leichtem Zahnkontakt: Die implantatgetragene Einzelkrone sollte die Shimstock-Folie freigeben
- Testung beim Zusammenbeißen der Zähne: Die implantatgetragene Einzelkrone sollte die Shimstock-Folie halten, da dies aufgrund der Resilienz des Parodontalligaments an natürlichen Zähnen Zahnbewegungen ermöglicht
- Sofortige Disklusion bei exzentrischen Bewegungen
- Vor allem bei implantatgetragenen Einzelkronen im oberen Frontzahnbereich muss eine ausreichende palatinale Konkavität sichergestellt sein, damit für das Sprechen und Kauen adäquate Protrusionsbewegungen des Unterkiefers möglich sind. Im unteren Frontzahnbereich darf bei protrusivem Kontakt der Inzisalkanten kein ausschließlicher Kontakt mit dem Implantat vorliegen
- Implantatgetragene Einzelkronen im Seitenzahnbereich: In beiden Kiefern werden die Höckerabhänge auf der Okklusalfläche leicht konkav angelegt, anders als die kaum abgenutzten Okklusalflächen, deren dreieckige Kämme meistens konvex von der Höckerspitze zur internen Fossa verlaufen. Besonders wichtig ist das bei Patienten mit sofortiger Kondylusverlagerung nach lateral
Implantatgetragene festsitzende Prothetik (I-FDP) im Seitenzahnbereich (Kennedy-Klasse I oder II) – keine natürlichen Zähne distal der Prothetik:
- Schaffung eines Referenzpunkts (siehe oben)
- Testung bei leichtem Zahnkontakt: Die implantatgetragene festsitzende Prothetik im Seitenzahnbereich gibt die Shimstock-Folie frei
- Testung beim Zusammenbeißen der Zähne: Die implantatgetragene festsitzende Prothetik im Seitenzahnbereich hält die Shimstock-Folie
- Disklusion bei exzentrischen Bewegungen
- Okklusalfläche: Kopie der allgemeinen okklusalen Morphologie, die der Patient im Laufe der Zeit geschaffen hat – die Höckerabhänge der Okklusalfläche sollten flach oder leicht konkav sein
Implantatgetragene festsitzende Prothetik (I-FDP) im Frontzahnbereich (Kennedy-Klasse IV):
- Wie für die implantatgetragene Einzelkrone beschrieben und
- Entwickeln eines Konzepts der gegenseitigen Schutzfunktion
Implantatgetragene festsitzende Deckprothetik (I-FDP oder I-cFDP)
- Diese Form der Restauration setzt ein komplettes therapeutisches Okklusionskonzept voraus
- Bilaterale synchrone Kieferkontakte bei Schluss der Seitenzähne – adäquat ist ein Kontakt pro Zahneinheit
- Laterale Führung nach dem Prinzip der gegenseitigen Schutzfunktion
- Eine seitenzahngeführte Okklusion ist technisch und mechanisch einfacher
- Außerdem ein Design mit verkürzter Zahnreihe (SDA) erwägen
Da die taktile Sensibilität bei Implantaten initial meistens reduziert ist, werden Abweichungen der Okklusion zwischen Implantat und Zähnen oft nicht bemerkt. Die Sensibilität scheint sich im Laufe der Zeit zu verbessern. Daher sind die Kontrolltermine sehr wichtig. Je ausgedehnter die therapeutische Intervention ist, umso früher sollte die erste Nachkontrolle erfolgen. Eine implantatgetragene Einzelkrone sollte in den ersten 3–5 Jahren mindestens einmal jährlich kontrolliert werden. Bei jeder Vorstellung wird die Okklusion, wie oben dargestellt, evaluiert und werden bei Bedarf entsprechende Anpassungen durchgeführt.